Daniel Patrick Welch - click to return to home page


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Ein Grund, zu bleiben: Es hat sich nichts geändert

September 2008

Beim Kramen in alten Papieren fiel mir dieser Artikel wieder in die Hände. Ich schrieb ihn vor 16 Jahren und mir fiel auf, wie aktuell seine zentrale Botschaft nach all den Jahren noch ist, vielleicht sogar aktueller, als in dem Augenblick, in dem der Matrixdrucker sie auf Endlospapier bannte. Als Autor neige ich dazu, daran zu feilen, ihn zu "aktualisieren" und zu verbessern. Ich widerstehe weitgehend, ich will nur meinen ersten Gedanken festhalten - wir müssen verrückt sein, immernoch mit dem weiterzumachen, womit wir vor 16 Jahren begonnen haben, in denen es galt, manchen Sturm und manche Krise zu überstehen. Nach all den Jahren immer noch verrückt genug (Entschuldige, Paul) -- oder einfach nur Glück, den Mahlstrom bisher heil überstanden zu haben. Der Originaltext spricht für sich selbst.

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Eine der Herausforderungen und zugleich Fallstricke des Unterrichtens ist die Achterbahnfahrt der Gefühle, das Navigieren zwischen den Hochs und Tiefs im Leben der Kinder und der Versuch, von diesen Wellen nicht verschlungen zu werden. Wenn ich mit zukünftigen Lehrern spreche, die unterrichten wollen, weil sie "Kinder einfach lieben", gehe ich normalerweise einfach weiter. Nicht, weil ich Kinder nicht mag. Nein, es ist diese hier vertretene, alberne, akademische Affinität zu einer mystischen Kindheit, die mir doch ein wenig oberflächlich erscheint. Eine Kindheit ist viel mehr, sie reicht von grossäugigem Staunen angesichts einer neuen Entdeckung bis zum verbissenen, egoistischen Zorn, hervorgerufen durch ein unerfülltes Verlangen. Kinder zu lieben bedeutet gegenseitigen Respekt und eine gute Einschätzung ihrer jeweiligen Möglichkeiten. Jemand, der vergessen hat, wie man im Schulhof herumalbert oder veralbert wird, wird zu einem lausigen Lehrer. 

Eine Achterbahnfahrt kann erheiternd, deprimierend, angsteinflöβend sein -- alles zur selben Zeit. Niemandem muss erklärt werden, wie wunderbar es sein kann, ein Kind aufwachsen und lernen zu sehen. Kinder und Haustiere sind letzendlich die Einzigen, die uns bedingungslos lieben. Es ist beängstigend, einem Kind erklären zu müssen, dass man selbst auch nur ein Fahrgast ist, wenn es erwartet, dass man die Fahrt kontrolliert. Wenn ein Kind Sie darum bittet, in Missachtung eines Gerichtsurteils, nicht mehr zu seinem Vater zu müssen, müssen Sie ihm erklären, dass Sie nicht der Felsen von Gibraltar sind, für den es Sie irrtümlich hielt, und Sie werden sein Herz damit brechen. Es gibt nichts Verheerenderes, als seine Seele und sein Herz einem Kind zu schenken, nur, um von einem überforderten Elternteil einer Mitschuld an der Situation bezichtigt zu werden. Wie auch im übrigen Leben, hält man sich als Lehrer besser heraus. 

Aber es geht darum, sich einzumischen. Man kann nicht während der Fahrt aussteigen. Ja, auch schwarze Tage sind Teil des Unterrichtens. Ich erinnere mich an einen solchen grauen Morgen, es war der Tag nach den Aufständen in Los Angeles. Ich führte eine Gruppe Kinder vom Bus ins Gebäude, alle kichernd und aufgeregt, in der ignoranten Unschuld ihres Alters, während ich mit ernüchternder Klarheit an die Perspektiven ihrer Zukunft dachte. Das sind sie, eine Mischung aus farbigen, latino und weiβen Kindern, die meisten von ihnen stammen aus armen Familien. Und in L.A. war die soziale Klasse genauso wichtig wie die Hautfarbe, ein Punkt, den die Medien nur zu gerne vertuschten. Im Sog der Ereignisse in L.A. kamen mir die Tränen, als ich daran dachte, was diese Kinder - meine Kinder - erwartete, ich, in meinem begrenzten, fürsorglichen Besitzanspruch, den Lehrer entwickeln. Mir wurde plötzlich klar, dass viele dieser Kinder bereits im Alter von vier oder fünf Jahren schon in der Klemme steckten. Statistiken überfluteten meine Gedanken, als ich ihre Chancen berechnete und darum kämpfte, meine Verzweiflung vor ihren begierigen, wissenden Augen zu verbergen. 

An diesem und vielen anderen Tagen, wandte ich mich Erinnerung an die andere Hälfte der Fahrt zu, Erinnerungen an die Heiterkeit und Belohnung, die entsteht, wenn es gelingt, seinen Eindruck fühlbar zu machen, zumindest dem Ein oder Anderen. Jeder Lehrer möchte in Erinnerung bleiben, ein Fixpunkt in der Vergangenheit eines Kindes sein, der mit der Weitergabe dieser Erinnerung lebt und wächst. Aber ich habe immernoch keine Geschichte, die es mit der meiner Mutter aufnehmen kann, sie erinnert sich immernoch und immer wieder an denjenigen, der sie am meisten berührt hat.

Eines Tages erhielt meine Mutter einen Anruf, ein Ferngesprách, eine vage bekannte Stimme am anderen Ende. Es ist erstaunlich, wie wir manchmal durch die Tricks unserer Erinnerungen waten, so, wie Sie sich immer wieder selbst in diesen Portraits, die Ihr Aussehen in 20 Jahren zeigen, erkennen. "Hallo, Mrs. Welsh? Hier ist Miriam Irving. Erinnern Sie sich an mich?"

Ich musste lachen, als ich die Geschichte hörte. Miriam Irving war vor einer Ewigkeit in der Kindergartengruppe meiner Mutter. Ich bewunderte ihre Zielstrebigkeit, die ihr die Kraft gegeben hatte, dieses Telefonat trotz der Unsicherheit nicht mehr vorhandener Erinnerung, zu führen. Ich könnte niemals anrufen, dachte ich. Miriam wusste es nicht, aber es war dumm, zu glauben, meine Mutter hätte sie vergessen. 

Miriam war ungefähr in meinem Alter und als Kinder spielten wir eine Weile zusammen. Sie und ihre Brüder waren ungefähr in demselben Alter wie das jüngste Kind meiner Mutter. In diesen Tagen gehörten sie zu einer der wenigen farbigen Familien in Salem, und obwohl unsere Freundschaft sich aus der unserer Mutter entwickelte, glaube ich, dass meine Mutter, in ihrer weiβen liberalen Denkweise, dachte, es wäre etwas Besonderes für uns, farbige Freunde zu haben. Wir übernachteten bei ihnen, machten gemeinsame Ausflüge, an einem Sommer erinnere ich mich ganz besonders. Während einer Party rannten wir ums Haus, um dann aufeinanderzuprallen, meine Zähne knallten auf ihren Kopf. Unsere Brüder stichelten, wir wären in einander verliebt. Ich denke, wir mochten uns, sie war irgendwie meine erste Freundin. Ihr Kopf verheilte, aber mein Lächeln ist immernoch von einem leicht verfärbten Zahn gekrönt, einer Trophäe unserer gemeinsamen Zeit. 

Die Erinnerungen, die im Gedächtnis meiner Mutter aufblitzten, waren nicht die, deretwegen Mirian anrief. Das ist das Schöne des Unterrichtens und der Erinnerung. Man ist immer wieder leicht überrascht angesichts der Erinnerungen, die das Kind behält, wenn man selbst die Szene anders im Gedächtnis hat. "Erinnern Sie sich an eine Zeit im Kindergarten," begann Miriam, ihre Stimme voller Emotionen. Die Augen meiner Mutter füllten sich mit Freude, noch bevor sie Miriams Geschichte gehört hatte, sich weitend unter dem Gewicht scheinbar vergessener Erinnerungen. 


"Ich spielte mit der Kreidetafel und meine Arme waren mit Kreide bedeckt," fuhr Miriam fort. "Ich saβ da und sagte 'Oh Gott, jetzt bin ich weiβ wie die anderen Kinder.'" Meine Mutter erinnerte sich sofort daran, ihr Gedächtnis brachte sie in die späten Sechziger zurück, als "Black Pride" (Bewegung der Afroamerikaner - Anm. d. Übers.) dem FBI eine derartige Furcht einjagte, dass sie die Panther in ihren Betten erschossen. "Sie zwangen mich, die Kreide abzuwaschen. Und Sie sagten, "Nein, Schatz, du bist nicht weiβ. Du bist schwarz, und du solltest stolz darauf sein.' Und Sie zwangen mich, während des Stuhlkreises aufzustehen und den Kindern zu sagen, dass ich nicht weiβ war, ich war schwarz und stolz darauf, schwarz zu sein. Erinnern Sie sich daran?"

Sie kicherte in sich hinein. Natürlich erinnerte sie sich daran. Aber sie konnte es nicht wissen, Miriam wusste, dass sie es nicht wissen konnte. "Ich bin mir jetzt sicher, dass Sie immer gewusst haben, was mir das bedeutet hat." Wohl wahr, bis jetzt. Es ist seltsam, dachte meine Mutter, man tut Dinge nicht für die Zukunft, sondern weil man glaubt, sie seien das Richtige in diesem Augenblick. Jetzt, nach 20 Jahren und tausenden Kilometern, kommt es plötzlich zurück, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. "Egal," fuhr Miriam fort, "ich heirate nächsten Monat und würde mich freuen, wenn sie kämen." Meine Mutter weinte, als sie den Hörer auflegte. 

Sie fuhr, natürlich, mit dem Nachtbus nach Virginia, wo sie sich niedergelassen hatten. Sie zog sich im Waschraum der Busstation um, ein tränenreiches Wiedersehen mit schnellem Abschied und zu wenig Zeit zum Aufholen, und schon war sie wieder auf dem Rückweg nach Norden. Miriam schickte Bilder, als sie das Kind bekam, danach noch eines, glaube ich, aber wir verloren den Kontakt erneut.

Ich glaube nicht, dass sie wirklich wusste, genau, wie sie es sagte, welche Wirkung dieser Ausflug in die Vergangenheit hatte. Mutig, dachte ich, Vergessen riskierend, die Vergangenheit zurückzuholen. Manchmal kommen diese Jahre zurück. Sie wusste nicht, was wir jetzt taten, sie konnte nicht vorhersehen, dass wir gerade damit bescháftigt waren, ein alternatives Unterrichtskonzept zu entwickeln, eines, dass die Schranken der Klassen, Rassen und Kulturen überwinden sollte. Sie wusste es nicht; sie wollte nur das Richtige tun, was dieser Geschichte noch mehr Gewicht verleiht. Es ist ein Geschenk. Ich drehe und wende es in Gedanken wie einen Stein, dessen Ecken und Kanten sich immer weiter abrunden, wenn die Achterbahnfahrt stürmisch wird. ich hoffe, ich bin lange genug hier, um selbst eine solche Geschichte erzählen zu können, so dass andere vielleicht genauso stolz auf mich sind, wie ich auf meine Mutter, und auf Miriam. Ich würde Miriam gerne mitteilen, wieviele Leben ihre Geschichte durch das Neuentfachen der Inspiration direkt und indirekt berührt hat. Ich denke, ich behalte den Job. 

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Beim erneuten Lesen fand ich das Bild des Steines sehr berührend - ich kramte die alte Geschichte aus und liess mich von den Worten überwältigen, sie waren dringend benötigter beruhigender Balsam. Wir sind kurz davor, öfter abzustürzen, als wir zählen können; wir müssen Entwickler, aufdringliche, unerträgliche Menschen, pflichteifrige und törichte Baemte abwehren... und natürlich die Banken, die Bundespolizei und andere, vor unserer Tür lauernden Wölfe. Alles, um weiter zu machen. Es ist hart, oder scheinbar blinder Optimismus, stolz darauf zu sein, auf der Stelle zu treten und unser Verharren als groβe Leistung anzusehen. Kipling hatte wahrscheinlich Recht ---" wenn du einen klaren Kopf behälst, während alle um dich herum den ihren verlieren und dir die Schuld daran geben ..."

In den folgenden Jahren verlor ich meinen Vater; Miriam ihren Mann und ihren Bruder. Julia und ich sind zusammen, seit ich zu schreiben begann, der 70. Geburtstag meiner Mutter (zu dem Miriam und ihre Mutter kamen), führte zu ihrem 80., sie ist immernoch gesund und munter. Aber allgemeiner, die Kompromisslosigkeit der Misere der Armen in L.A. erscheint jetzt wie ein Kinderspiel, ersetzt durch den unausprechlichen Horror, den wir uns nicht einmal in unseren schlimmsten Alpträumen ausmalen konnten. Dieser Platz wird jetzt von einer virtuell wie auch real explodierenden Rücksichtslosigkeit und Terror eingenommen, spielend mit den Armen der Welt, die zu einer Art Mehrwert der Humanität zwischen New Orleans und Gaza und darüber hinaus geworden sind. Die Elite an der Macht vereint sich mehr und mehr zu einer Stimme, in demselben Maβe, wie die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderklafft, ohne dass ein Ende in Sicht ist oder echte Hoffnungen auf wesentliche Änderungen aus den Showwahlen, deren Stars schöne Menschen mit Wagenladungen voller Konzerngelder sind, enstehen. 

Das ist fast nicht zu ertragen, bis ich diesen alten Stein wiederfand, ein Trost, auch wenn ich mich wie der verblendete Kapitän in der Meuterei auf der Cain fühle, ich zeige meine Verblendung, in dem ich diesen Stein immer wieder öffentlich ins Rollen bringe. Den Job behalten? Ich glaube, ja. Immernoch verrückt? Ziemlich wahrscheinlich. Aber viel wichtiger, und so banal, wie es klingt - immernoch da, nach all den Jahren!

© 2008 Daniel Patrick Welch. Abdruck wird genehmigt bei entsprechendem Hinweis und Verlinkung auf http://danielpwelch.com. Der Autor, Sänger, Linguist und Aktivist Daniel Patrick Welsh lebt und arbeitet in Salem, Massachusetts, zusammen mit seiner Frau, Julia Nambalirwa-Lugudde. Zusammen leiten sie die "The Greenhouse School" und bieten Workshops und Seminare für Musik und Geschichte an. Übersetzungen der Artikel sind in mehr als zwei Dutzend Sprachen erhältlich. Verlinkungen zur Webseite sind auf danielpwelch.com. willkommen. Die neue CD, Let It Snow  kann über die Webseite bestellt werden. 

Ubersetzung von Sabine Lammersdorf

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