Warum Martha verloren hat
Während die amerikanischen Demokraten schockiert sind über die
Angreifbarkeit des Senatssitzes von Ted Kennedy, dem “liberalen Löwen des
Senats”, lässt sie den US-Beobachter Daniel Patrick Welch, der in Kennedys
Heimatstaat lebt und von dort schreibt, unbeeindruckt. Die Demokraten waren
dumm genug, den Volkszorn den Rechten zu überlassen. Jetzt ernten
sie, was
sie gesät haben.
(1/2010)
Ich habe keine Lust mehr, auf die Nachwahlanalysen zu warten, bei denen
wackelnde Köpfe das aufgreifen, was sie längst wussten und sich selbst als
Weise darstellen. Vielleicht bin ich auch nur faul. Auf jeden Fall kann man
das als vorgezogenen Nachruf oder die Dreistigkeit, eine gewonnene Wette zu
verlieren, sehen. Irgendetwas in dieser Richtung.
Gut, die Wahlen sind noch nicht gelaufen, aber der mögliche oder, wie manche
(ich!) zu sagen wagen, der drohende Verlust von Ted Kennedys Sitz an ein
pseudopopulistisches republikanisches Nacktmodel ist so ungeheuerlich, so
vielsagend und so ... unvermeidbar, dass er einen Frühstart
rechtfertigt.
Was ist schief gelaufen? Was ist nicht schief gelaufen? Die Demokratische
Partei ist so überzeugt von ihrer rechtmäßigen Platzierung an der Stelle,
die sie gerne als Mitte-links der amerikanischen Wählerschaft festschreibt,
dass sie total gehörlos, realitätsfremd und selbstbeweihräuchernd davon
ausgeht, ihre Kernwählerschaft würde ihr bis in den Mülleimer der Geschichte
folgen.
Der offensichtlichste und verzeihbare Fehler war die geschichtlich
gerechtfertigte Annahme, das Rennen wäre eine geschlagene Schlacht und die
wirkliche Medienshow hätte bei den Vorwahlen der Demokraten stattgefunden.
Was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag, diese Annahme spielte der
schlauen und gut abgestimmten Opposition in die Hände. Sie konnten die
demokratische Kandidatin Martha Coakley so darstellen, als wäre sie der
Meinung, sie hätte den Sitz verdient, weil es eine Art ungeschriebenes
Gesetz im Sinne Teddys war.
Marthas Freunde werden protestieren, aber das ist kein Problem. Die wahren
Probleme begannen, als dieser Eindruck sich lawinenartig ausbreitete.
Unverdiente Führerschaft ist ein wunder Punkt für allein gelassene Wähler,
die begreifen mussten, dass ihre Liebe zu den Demokraten unerwidert blieb
und sich dafür rächen wollten. Einer Partei, die unfähig zu sein scheint, in
der Opposition zu opponieren und nicht führen kann, wenn sie an der Macht
ist, darf keine Möglichkeit eingeräumt werden, mit dem Feuer zu spielen,
solange irgendwelche Erwachsenen in der Nähe sind, die sie aufhalten können.
Das führt zum zweiten großen Fehler. Der lokale Parteiapparat, wandte sich
in dem Bewusstsein, dass sie in Schwierigkeiten waren, an den Staatsapparat,
der den Karren aus dem Dreck ziehen sollte. Ein großer Fehler. Obama ist
kein gutes Zugpferd und die Demokraten im Kongress haben einen noch
schlechteren Ruf. Möglicherweise können die Strategen der Demokraten nicht
glauben, dass es in so kurzer Zeit eine derart große Verschiebung gab und
rechneten damit, dass Barry the Rock Star mit der einschmeichelnden Stimme
alles zu einem guten Ende bringen würde.
Die Leute sind stinksauer. Das ist alles. Und je mehr du versuchst, ihnen
Honig ums Maul zu schmieren und sie glauben zu machen, die Dinge wären
besser, wenn sie nicht sauer wären, umso stärker werden sie sich gegen dich
wenden. Judas (oder jedenfalls Antony Lloyd Webber) hat es am besten
ausgedrückt: „Du hast sie alle in Brand gesetzt. Sie denken, sie haben
den neuen Messias gefunden. Und sie werden dich verletzen, wenn sie
herausfinden, dass du gelogen hast.“
Verstehen Sie mich nicht falsch. Scott Brown ist Republikaner. Vielleicht
trifft die ständige Wiederholung dieser Tatsache bei den Wählern von
Massachusetts in letzter Minute ins Schwarze und hilft den Demokraten, die
nahezu überwältigende Überlegenheit, die sie in diesem Staat haben,
auszuschöpfen. Auf nationaler Ebene hat sich die Partei allerdings rasch
zugebilligt, etwas Anderes zu sein als das, was sich die Wähler im Jahr 2008
erwarteten; wenn man Erwartungen nicht gerecht werden kann, kann man
Loyalität nicht selbstverständlich voraussetzen.
Obamas Handlanger scheinen vor allem die kochenden Wut an der Basis nicht zu
bemerken. Die Menschen leiden, sie haben Angst, sie sind zornig, und Obamas
kühle Geschäftsroutine hat sich rasch abgenutzt. Man braucht kein ganzes
Jahr, um zu begreifen, dass derselbe neoliberale Mist nicht funktioniert. Es
ist auch nicht hilfreich, dass er einige derselben Wasserträger in der
Innen- und Außenpolitik übernommen hat und einfach auf eine symbolische Art
zu vorsichtig war. Es würde mich nicht wundern, wenn für so machen Wähler
Obamas kürzliche Ernennung von George W. Bush zum Spendenmanager für den
Aufbau von Haiti der letzte Strohhalm gewesen wäre.
Zurück zu Massachusetts und Martha Coakley. Ich war zeitlebens ein Einwohner
von Massachusetts und für mich ist klar, dass die “Massachusetts-Lösung” des
Gesundheitswesens nicht das populäre Programm ist, als das sie von den
Eliten dargestellt wird. Obama selbst hat es abgeschossen, als er hier bei
seinem Wahlkampf um die Vorwahlen im Jahr 2008 sagte: “Irgendwie fällt es
mir schwer, zu glauben, dass die armen Leute nur deshalb keine
Krankenversicherung haben, weil sie bis jetzt noch niemand gezwungen hat,
eine abzuschließen.“ Und immer noch ist es dieses unbeliebte, in den
Rettungsplan für die Krankenversicherung eingebundene Konzept, das an
oberster Stelle im Kongressofen brennt. Meine Frau und ich zahlen jährlich $
10.000 an Versicherung nur für uns beide – und das ist keineswegs
ungewöhnlich. Auf die Kreise der Mächtigen mag das nicht zutreffen, aber
viele Menschen, die ich kenne, zahlen Ordnungsstrafen statt der
Versicherung – sie haben keine Wahl.
Arbeiter und arme Leute sind sehr, sehr zornig und sie sehen einfach keinen
Grund, warum sie an einem verschneiten Januartag zu den Urnen gehen sollen,
um diese miserable Gesetzgebung zu retten. Und die Progressiven an der
Basis, deren vielgepriesene Macht des Volkes Obama ins Amt katapultierte?
Sie haben zwar seinen Bestseller „Hoffnung wagen“ beweihräuchert, aber sie
stellen sich nicht für die Vorbestellung einer Fortsetzung mit dem Titel
„Die Hoffnung, die Scheiße aus allen zu ihrem eigenen Besten herauszubomben“
an. Die Demokraten haben dummerweise eine unglaubliche Chance vergeben. Der
Volkszorn ist immer noch sehr real, aber sie haben ihn mit einem der
schlechtesten Auftritte der modernen politischen Geschichte den Rechten
überlassen. Wenn sie ihre Partei retten wollen, sollten sie lieber eine
radikale Kehrtwendung machen – und das schnell. Die Geschichte wartet
nicht.
© 2010 Daniel Patrick Welch. Der Nachdruck wird gestattet.
Ubersetzung von
Hildegard Fatahtouii
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Welch lebt und schreibt in Salem, Massachusetts, USA, mit seiner Frau, Julia Nambalirwa-Lugudde Zusammen sind sie verantwortlich für
The Greenhouse
School. Er ist Schriftsteller, Sänger, Linguist und
Aktivist, erschien im Radio [interview
hier]. und steht für weitere Interviews zur Verfügung. Die bisher erschienenen Artikel und Übersetzungen sind erhältlich unter
danielpwelch.com. Einen Link auf Ihrer Homepage würden wir
begrüßen.
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