Ist sie denn keine Frau?
Patricia Jennings-Welch: Eine groβe Frau, Ein groβes Vermächtnis
Grabrede anlässlich des Begräbnisses am 05. März 2009 in der Kirche "St. Thomas the Apostle" in Peabody, Masachusetts
van Daniel Patrick Welch
(3/09)
Patricia Jennings-Welch. Wow. Sie ist eine Frau! Als ich mir die ersten Zeilen der berühmten Rede von Sojourner Truth einprägte, musste ich ständig an meine Mutter denken. "Dieser Mann dort drüben sagt, dass man Frauen helfen muss, in Kutschen einzusteigen, dass man sie über Straβengräben oder Schlammpfützen tragen muss und dass ihnen überall der beste Platz gebührt. Niemand hilft mir in Kutschen oder über Schlammpfützen oder bietet mir den besten Platz an! Bin ich denn keine Frau? Seht mich an! Seht meinen Arm! Ich habe gepflügt und gepflanzt, die Ernte in Scheunen gebracht und kein Mann war besser als ich! Und bin ich denn keine Frau? Ich konnte soviel arbeiten und essen - wenn ich zu Essen hatte - wie ein Mann und auch die Peitsche ertragen! Und bin ich denn keine Frau? Ich habe dreizehn Kinder geboren und zusehen müssen, als die meisten in die Sklaverei verkauft wurden, und wenn ich mein mütterliches Leid hinausschrie, hörte mich niemand auβer Jesus! Und bin ich denn keine Frau?"
Alles, was ich über Respekt und Würde, das Zielstrebigkeit und Demütigungen anderer nicht zuzulassen, gelernt habe, zeigte mir diese unglaublich komplizierte, starke und erstaunlich entschlossene Frau, von der wir heute Abschied nehmen. Diese Frau, die mich lehrte, Stärke und Mitgefühl gleich zu gewichten - die Frau, die, kurz gesagt, mich lehrte, ein Mann zu sein. Diese Frau, die so viele so vieles lehrte und deren Beispiel mir zeigte, dass nichts unter unserer Würde ist - dass das Säubern verstopfter Toiletten Hand in Hand mit dem Lernen und Lehren, sei es Lesen oder eine Fremdsprache, geht, dass ein Leben ohne ständiges Streben ein Leben ohne Werte ist - aber auch das Streben nach sich selbst ohne andere mit emporzuheben ist so sinnlos wie moralisch verwerflich.
Ich durfte mich sehr glücklich schätzen, eine solch besondere Beziehung zu dieser Frau zu haben: meiner Mutter, meiner Freundin, meiner Vertrauten, meiner Mentorin. Und doch berührte sie so viele Leben, sie genoss ihr Leben mit ihren Kindern in vollen Zügen, die Aufenthalte und Ausflüge in und nach San Antonio und Austin zu jedem letzten Wettkampf im Schwimmen, zur Messe, Ballspielen, Geburtstagsfeiern und anderen Festen, die sie besuchen konnte, wie auch immer sie dort hin kam, so lange sie dort bleiben konnte. Und weit über den engsten Familienkreis hinaus nahmen sie die Menschen um sie herum als eine der Ihren wahr. Sie mag all das für mich gewesen sein, aber Mina war in gewissem Sinne auch Staatseigentum. Eines der vielen Kondolenzschreiben, das uns erreichte, betonte dies besonders - zusätzlich zu ihrem unglaublichen Intellekt, ihrer Unersättlichkeit und Wissensdurst und ihre wunderbares Talent, zu lehren. Die Eigenschaft, die mein Freund Volker aus Deutschland zuerst wahrnahm, war, dass sie allen das Gefühl gab, eines ihrer Kinder zu sein: "Sie war die beste Mutter, die man haben kann. Weisst du, ich liebte es, von ihr behandelt zu werden, als wäre ich eines ihrer Kinder, einfach weil - alle wollten diese Frau - als Mutter, als Gründerin einer Schule - als Mensch. Obwohl sie jetzt von uns gegangen ist, wird sie jetzt lebendiger sein, als viele lebenden Menschen - in unserem Gedächtnis."
Deshalb haben wir die Blumendecke frei gelassen: Sie steht für all die Samen, die sie gesetzt hat, alle Blumen, die daraus entstanden, alle Menschen, deren Leben und Träume sie angestoβen, vorangetrieben, angespornt hat, an deren Erfüllung sie beteiligt war, deren Leben sie gerettet oder durch ihre Bekanntschaft reicher gemacht hat.
Es wäre nachlässig, meine Frau Julia hier nicht erwähnen, sie ist jetzt meine Partnerin in der Trauer, wie sie immer meine Partnerin in allem war. Sie ist seit Jahren an meiner Seite, sie half mir, meine Mutter zu pflegen, die, wie viele wissen, seit Jahren gesundheitliche Probleme hatte. Julias Liebe und Unterstützung für mich, meine Mutter, reichte vom Baden und Ankleiden meiner Mutter an unserem Hochzeitstag bis zu den letzten Momenten dieser groβartigen Frau, bis zu den Träumen, die wir alle teilten - wir drei Drachen im chinesischen Horoskop, oder das PD&J-Team, wie sie auf ihrem Totenbett sagte, die Liebe, die wir für einander empfanden, war greifbar und
unverzichtbar.
Obwohl sie manchmal fordernd gewesen sein mag, sollten wir uns jetzt daran erinnern, dass die Liebe, die sie immer einforderte, das Beste war. Eine Strophe aus dem Lied, das wir vorhin sangen, ist besonders ergreifend - Ich wurde unten im Tal geboren / dort, wo die Sonne nie scheint / Aber ich steige nach oben / dieser Berg wird mein
sein!
Natürlich forderte sie dies von allen - ob man sich dessen bewusst war oder nicht. Dies ist die beste Eigenschaft eines Lehrers und vielleicht auch einer Mutter. Paradoxerweise war sie manchmal am härtesten zu denen, die sagten, dass sie nicht könnten - und ganz besonders zu denen, von denen andere sagten, dass sie nicht in der Lage wären. Sie sehen das Mysterium Pat Welsh, immer nach den Sternen greifend (die man manchmal erreichte), aber sie hatte auch eine pragmatische Seite: Selbstmitleid war für sie nicht unmoralisch - es war einfach im Weg. Wie oft kamen Menschen zu uns, erzählten Geschichten, wie die Mutter, die Julia und mir sagte "als ich meinen Sohn zur Schule bringen musste, sagte ich Ihrer Mutter "Aber ich kann ihn nicht abholen," und sie antwortete 'Bringen Sie ihn in die Schule; wir werden eine Lösung finden.'" Dieser Berg wird mein sein! Aber nie ohne, die Anderen mitzureissen.
Einer meiner Cousins schrieb, dass Tante Pat uns allen eine Quelle der Inspiration war. Sie hatte einen phantastischen Optimismus, es gab nichts, das zu schwieirg gewesen wäre, wenn sie sich erst einmal damit befasst hatte. Und ich glaube, sie hatte die Gabe, eine Menge Menschen davon überzeugen, dass sie in der Lage wären, Dinge zu tun, die sie sonst nicht einmal versucht hätten. In der Tat führte dieser Ruf, ihren Willen gegen alle Hindernisse durchzusetzen zu einer interessanten Verwirrung kurz nach ihrem Tod. Ich gab im Entwurf für die Todesanzeige versehentlich ein falsches Datum an. Ich schickte eine Korrektur mit der Überschrift "Tippfehler". Ihre Cousine schrieb mir sofort, dass sie hoffte, es handelte sich um ein Versehen. "Patsy erklärte, dass das alles nur ein Tippfehler sei und sie nirgendwo hinginge!"
Einige Wochen vor ihrem Tod sprach sie mich an "Liebling, ich möchte, dass du mich ins Koma legst. Dann können sie mich in fünf oder zehn Jahren, wenn sie ein Mittel gegen alles, was mit mir nicht in Ordnung ist, gefunden haben, wecken." Eine Freundin fragte, ob sie etwas für sie abholen könnte, wenn sie einkaufen ginge. "Nicht, solange du nicht ein Paar Lungen abholen kannst," grinste sie, mit diesem Leuchten in ihren blauen Augen, das und alle glauben machte, sie scherze … sie scherzt … nicht wahr? Man konnte sich nie sicher sein …
Sie hatte ein Lieblingsgedicht, das ihr Vater, mein Groβvater, für sie schrieb. Wir haben es in den letzten Wochen oft rezitiert, es schien ihr Trost zu spenden.
Patsy
Heute, mein Kind, bist du Weiβ gekleidet,
als Symbol für die Seele Gottes
um mit ihm auf dem rechten Pfad zu wandeln
entlang des Pfades, den Christus beschritt
Deine Gedanken sind rein, dein Schritt ist stark,
Deine Träume sind von freudiger Hoffnung erfüllt,
sie gibt dir die Kraft, weiter zu gehen
auf der Straβe des Lebens mit all ihrer Last
Ein Soldat in Gottes Gemeinde,
dein Kampf ist jetzt eins mit dem Leben,
mögest du in den Himmel eintreten,
wenn du den irdischen Kampf hinter dir gelassen hast.
Er schrieb noch ein anderes Gedicht, unzweifelhaft dachte er dabei an sich selbst und seine Mutter. Ich habe mich in der letzten Zeit oft daran erinnert, wenn ich an mich und meine Mutter dachte. Während eines unserer letzten Ausflüge, als sie darauf bestand, alles Neue zu sehen: das Y, den umgebauten Danversport und schlieβlich auch den Friedhof, im Nachhinein denke ich, dass sie versuchte uns mitzuteilen, dass sie wusste, dass ihre Zeit gekommen war.
Schicksal
Ein Zyniker mag sie verachten, wenn sie vor ihrem Kreuze kniet
Und die Perlen des Rosenkranzes durch ihre Finger gleiten
Aber sie ist dem Ansporn des Lebens überdrüssig geworden
Und sie weiss nur, dass sie alt ist
Sie ist des Lebens müde und des Todes bange
Die Perlen in ihren Händen sind ihre Hoffnung
Auf Etwas nach dem letzten vergänglichen Atemzug des Lebens
Etwas, das wir mit unseren Sinnen nicht erfassen können
Und der Zyniker mag sie verachten, wenn sie dieses Kreuz küsst
Und mit gesenktem Kopf davor kniet
Sie ist in Friedem mit ihrem Gott, er wird zu den Verlierern gehören
Und der Dinge, die er nicht kennen kann, müde sein
Jetzt möchte ich, wenn auch nur kurz, der hispanischen Gemeinde etwas sagen, denjenigen, die meiner Mutter soviel Liebe entgegenbrachten - sie nannten sie immer nur 'la Dona'. Und alle wussten, von wem die Rede war, jedes weitere Wort war überflüssig. Wie auch vielen anderen, half la Dona vielen Mitgliedern dieser Gemeinde, mit der sie etwas Besonderes verband. Eine frühere Kollegin rief mich aus Santo Domingo an, um uns ihr Beileid auszusprechen, sie beschrieb, wie diese Frau, la Dona, eine so starke Frau, intelligent und voller Liebe, ihr wie auch ihren Kindern und ihrer Familie geholfen hat - wie so viele andere sagte sie, dass es ihr von Herzen leid täte, dass la Dona wohin auch immer gegangen sei, ihr, wie auch ihrer Mutter. Ich erinnere mich auch, und es ist nicht nötig, mich daran zu erinnern, an einen Scherz, den ich immer mit meiner Mutter trieb, ich übertrieb ihre spanische Aussprache. Mohr-rü-be. Ich wurde natürlich immer für das Verunglimpfen einer Frau solcher Würde gerügt, vor allem weil sie mit aller Kraft versuchte, die spanische Sprache zu erlernen. Ein weiterer Berg, den sie besteigen wollte. Aber, Gott sei Dank, und ich glaube, dass alle wissen, wie es la Dona verstand, dass alles aus Liebe geschah.
Ich bitte Vater Sherridan und alle Anwesenden um Verzeihung für diese vielleicht zu lange Rede. Ich glaube, es ist der Wunsch, immer über diese ganz besondere Frau zu sprechen, ganz wie in dem anderen Lied, das wir sangen, beschrieben ist: Bestatter, bitte fahre langsam. Aber wenn die Zeit gekommen ist, können wir sie nicht aufhalten, wir können weder die Zeiger der Uhr noch den Kalender beeinflussen. Vergebt mir. Und jetzt ist für diese groβartige Frau, die jede Party als letzte verlassen wollte, die Zeit der Ruhe gekommen. Sie kämpfte gegen das Schicksal, gegen ihre Krankheit, gegen die Zeit selbst bis zum Schluss. Als sie auf dem Totenbett lag, neigte ich mich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr, ich war mir nicht sicher, ob sie mich noch hören konnte, dass es in Ordnung sei, dass sie jetzt ausruhen könne und nicht so müde sein zu brauche. In den vergangenen Wochen gab es zwei Daten, die diesen letzten Widerspruch erklären können. Am 20. Januar hatte sie den letzten Termin mit ihren Onkologen, wir fühlten seit diesem Tag, dass sie von uns gehen würde. Und in der Nacht, in der Julia und ich auf einer Matratze auf dem Boden ihres Schlafzimmers schliefen um bei ihr zu sein, als sie mit dieser schlimmsten aller Nachrichten kämpfte, sagte ich voller Sorge zu Julia "Sie isst nichts." "Sie liest nichts," antwortete Julia. "Das ist für Pat Welsh ein viel schlimmeres Zeichen."
Aber ich erinnere mich jetzt auch daran, dass der 20. Januar das Datum der Amtseinführung war, ein Tag, auf den sie acht lange Jahre gewartet hatte. Ich erinnere mich genau an ihre Tränen im Jahr 2004 und meine Frage, weshalb sie es so schwer nähme. Sie antwortete "aber ich lebe vielleicht nicht mehr lange genug, um Bush gehen zu sehen!" Der 20. Januar mag viel wichtiger für sie gewesen sein, als wir alle glauben. Die andere, mit einem seltsamen Datum verknüpfte Geschichte fand ich erst gestern. Wir gingen wie so oft zum CVS, wo wir die Rezepte für die Medikamente, die sie am Leben hielten, einlösten, und ich konnte meinen Wagen nur unter Tränen parken. Ich parkte auf einem Behindertenparkplatz und legte den Behindertenausweis meiner Mutter reflexartig heraus.
Ich lächelte, als ich bemerkte, was ich tat und nahm an, dass weder das Gesetz noch sie selbst mir diesen letzten Verstoβ missgönnen würden. Aber als ich den am Rückspiegel hängenden Ausweis ansah bemerkte ich das Ablaufdatum: 24. Februar 2009, die Nacht, in der wir sie in aller Eile nach Brigham brachten, ihre letzte Fahrt in unserem klapprigen kleinen Auto. Geschockt lehnte ich mich zurück und dachte nach. Es ist wirlich Zeit, diese Frau ruhen zu lassen. Wir lieben dich und du wirst immer mitten unter uns sein. "Möge die Straβe sich für dich zum Gruβ erheben, mögest du den Wind immer im Rücken haben, möge die Sonne immer dein Gesicht wärmen, möge der Regen immer sanft auf deine Felder fallen - und bis wir uns wiedersehen, möge Gott seine Hand über dich halten." Ich liebe dich, Ma. Auf Wiedersehen.
© 2003 Daniel Patrick Welch. Der Nachdruck wird gestattet.
Ubersetzung von Sabina Lammersdorf
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Welch lebt und schreibt in Salem, Massachusetts, USA, mit seiner Frau, Julia Nambalirwa-Lugudde Zusammen sind sie verantwortlich für
The Greenhouse
School. Er ist Schriftsteller, Sänger, Linguist und
Aktivist, erschien im Radio [interview
hier]. und steht für weitere Interviews zur Verfügung. Die bisher erschienenen Artikel und Übersetzungen sind erhältlich unter
danielpwelch.com. Einen Link auf Ihrer Homepage würden wir
begrüßen.
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