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Der Weg in die Hölle

by Daniel Patrick Welch

(4/03)

Dies ist eine freudlose Zeit in meinem Land, ebenso wie auf der ganzen Welt. Vor ein paar Tagen sah ich mit ein paar Freunden den Film "Amen" von Costa-Garvas an. Er spielt im Zweiten Weltkrieg und handelt von einem Offizier der verhassten SS und einem Jesuitenpriester, die beide versuchen, den Vatikan, die Regierungen der Alliierten und die Deutschen selbst dazu zu bringen, gegen das Abschlachten von Juden und anderen Menschen in den Lagern einzuschreiten.

Ein Amerikaner, der diesen Film in einer Zeit wie der jetzigen ansieht, kann nicht umhin, die Parallelen mit der derzeitigen Situation zu erkennen. Mit aller Kraft kämpfen Millionen von uns dafür, unsere Mitbürger vom Terror dieses verbrecherischen Krieges zu überzeugen, nicht nur wegen der Opfer im Irak, sondern auch wegen seiner Auswirkung auf unsere Zukunft und die der Welt im Allgemeinen.

Der Nahost-Korrespondent Robert Fisk schrieb kürzlich einen Artikel über die für Kriegsgegner und Kriegsbefürworter bestehende Notwendigkeit, "miteinander zu sprechen". Obwohl ich vor Fisks Arbeit große Achtung habe, war ich von dem Artikel in hohem Maße enttäuscht, der doch gewissermaßen eine Art ruhiges, vernünftiges Gespräch bei einer Tasse Kaffee nahe legte. Genau wie anderswo in der Welt haben wir hier die Aussicht auf vernunftgeleitetes Diskutieren mit Menschen, die die Wahrheit offenbar nicht wissen wollen, schon beinahe abgeschrieben.

Und überall in der Welt kommt das "Gespräch" mit diesen Menschen in Gang - in der einzigen Sprache, die sie verstehen. Ich lasse meine Leser im Folgenden Anteil haben an einer Diskussion mit einer argentinischen Freundin - und meiner Antwort - , die aus einer Welt ohne Hoffnung heraus Fragen stellt, Fragen eines Volkes auf dem Weg in die Hölle, das allem Anschein nach diesen Zug nicht aufhalten will.

Brief aus Argentinien

Sag mir, Danny: Weiß das Volk der Vereinigten Staaten denn wirklich, was im Irak vor sich geht und was die Gründe dafür sind? Ist es sich darüber im Klaren, dass die Bevölkerung der USA lediglich 6% der Weltbevölkerung darstellt?

Ist es sich darüber im Klaren, dass die Beteiligung an Präsidentschaftswahlen in den USA kaum 30% erreicht? Dies bedeutet, dass 30% dieser 6% der Menschheit, der US-Bürger, einen Irren, eine Marionette der Monopolunternehmen an die Spitze eines Völkermordes gesetzt hat, der, falls man ihn andauern lässt, leicht die Dimensionen des jüdischen Holocaust erreichen könnte - ein zweiter Hitler.

Ist das Volk der Vereinigten Staaten sich der Unrechtmäßigkeit der unternommenen Schritte bewusst und der Konsequenzen, die die Wut und die antiamerikanischen Gefühle, die in der ganzen Welt ausbrechen, auf ihr Volk und ihre Wirtschaft haben kann?

Hier reden die Menschen ernsthaft von einem Boykott US-amerikanischer Waren, von einer Art Wirtschaftsembargo. Gestern haben wir in meiner Familie beim Mittagessen überlegt und darüber diskutiert, dass die Öffentlichkeit in den USA vielleicht von all diesen Dingen weiß und sich einfach nicht darum schert. Vielleicht sind ihr der Komfort und das wirtschaftliche Wohlergehen einfach wichtiger als das Blut Unschuldiger, das in der ganzen Welt vergossen wird, damit diese Privilegien aufrechterhalten werden können.

Danny, verzeihe mir, dass ich so hart bin, aber ich bin Lateinamerikanerin, und unsere Länder waren schon viele Male - durch Verräter aus dem jeweils eigenen Land (wie Präsident Menem einer war) - Opfer der Politik der US-Regierung, die uns in die Tiefen des Elends gebracht hat.

Doch Regierungen sind abhängig vom Überleben der Menschen, und ich möchte wissen, ob wir, die Unterdrückten in der Welt, darauf vertrauen können, dass eines Tages das Gewissen der US-Bürger erwachen wird und sie ihre Verantwortung erkennen, der Irrationalität und der Habsucht ihrer Führer Einhalt zu gebieten? Es gibt keine andere Hoffnung für die Welt. Andernfalls kann es keinen Gedanken an eine "lebensfähige" Zukunft für unseren Planeten geben. Werden Solidarität und Einfühlungsvermögen eines Tages stärker sein als ein voller Kühlschrank, ein Football-Spiel, ein neues Auto und ein schickes Haus? Denken Amerikaner überhaupt über diese Dinge nach? Bitte sage es mir. Mit freundlichen und respektvollen Grüßen, Indiana.

Brief aus Amerika

ndiana, ich kann die tief sitzende Unwissenheit meines Volkes weder bestreiten noch sie mit völliger Klarheit beschreiben. Alles, was Du sagst, ist richtig: das heißt, die Antwort auf alle Deine Fragen kann Ja lauten, wenngleich das an manchen Stellen sich selbst widersprechend wirken mag. Die Lage ist so kompliziert, so chaotisch, dass sie nicht mit einer einzigen Formel charakterisiert werden kann. Es hat fünfzig Jahre lang gedauert, um an diese Stelle in der Geschichte zu kommen; ein historischer Augenblick, in dem viele böse Kräfte zusammenkommen.

Die Zahl 30%, die Du angibst, hat sich stark verschlechtert. Früher haben sich die sogenannten Demokratien damit gerühmt, sagen zu können, dass zumindest der Kandidat, der die "Mehrheit" erlangte, auch die meisten Stimmen hatte. Wir wissen wohl, dass dies ein falscher Stolz ist, doch kann man trotz allem nicht leugnen, dass es noch schlimmer ist, wenn der "Gewinner" in Wirklichkeit gar nicht gewonnen hat.

Die Arroganz und der Zynismus einer Regierung, die auf diese Weise "gewählt" wurde, ist kaum zu überschätzen. Fügt man zu der Mischung noch den religiösen Fundamentalismus, erschwert durch den Irrsinn (offen gesagt: es gibt keinen anderen Ausdruck dafür) einer rechtslastigen Junta, die nichts sieht, was über ihre "Vision" von einer nach ihrer Vorstellung neu erschaffenen Welt hinausgeht, dazu die Unterstützung und den Einfluss fanatischer Likudniks, und man erhält eine recht explosive Mischung.

Doch habe ich noch nicht über die Menschen selbst gesprochen. Der Zusammenschluss der Medien in den letzten zwanzig Jahren - und die Kontrolle darüber, ausgeübt von Unternehmen, die zumeist mit rechtsorientierten politischen Kräften in Verbindung stehen - hat ebenfalls zur Schaffung dieses besonderen historischen Augenblicks beigetragen. Eine Wirtschaft, die fast völlig auf Konsum basiert, hat den Menschen vielleicht mehr als jeder andere Einfluss den Geist ausgetrieben. Doch dies fördert natürlich kein Verständnis für das, was ich eine kriminelle, "freiwillige Dummheit" nenne. Statistiken zufolge haben mehr als 70% der US-amerikanischen Haushalte Zugang zum Internet. Aus dieser Zahl allein können wir schließen, dass diese Ignoranz mehr oder weniger ein Problem des Willens ist - doch auch eines, das durch eine Kultur der politischen Entfremdung und einen völligen Mangel an einer Kultur der Analyse und des kritischen Denkens erschwert wird. Das Volk "weiß" einfach nicht mehr, wie man denkt.

Indiana, Du musst verstehen, dass Millionen von uns daran arbeiten, dafür kämpfen und versuchen, unseren Mitbürgern die Wahrheit zu sagen. Kontakte mit ausländischen Freunden (was, wie es scheint, in letzter Zeit mit fast meinem ganzen Freundeskreis gleichzusetzen ist) aufrechtzuerhalten bedeutet die Konfrontation mit einer beinahe nicht in Worte zu fassenden Beschämung. Ich erinnere mich an meinen Aufenthalt in Nicaragua im Jahre 1990, wo ich das Glück hatte, jemanden aus Panama zu treffen, auch einen "Sandalista" wie ich. Das war kurz nach dem Massaker von 1989 in Panama durch den von den USA ausgeübten "chirurgischen Schlag". Und mitten im jetzigen Krieg wissen nur wenige Amerikaner von dem in Kolumbien eskalierenden Krieg.

Ich finde die Analogie mit den Deutschen im Zweiten Weltkrieg passend und lehrreich, doch, wie ich hinzufügen würde, ist die Sache noch etwas gefährlicher. Der Nazismus wurde, zumindest auf der Ebene der Staatsmacht, durch den Krieg vernichtet. Die Unterdrückung des deutschen Nationalismus war möglicherweise eine der wichtigsten und notwendigsten Ergebnisse des Krieges - natürlich abgesehen davon, dass sie das Konzept des Nationalismus im Allgemeinen durch dieses einzigartige Beispiel stärkte. Im Gegensatz zum Fall der Deutschen gibt es jetzt keine Macht, die in ausreichendem Maße die Größe und den Willen hat, die USA mit der gleichen Wirkung zu strafen. Auch scheint es, dass es möglicherweise keine Prozesse für Kriegsverbrechen geben wird, da Belgien nun, um die Amerikaner zu beschwichtigen, seine eigenen Gesetze geändert hat.

Von solchen Gedanken bewegt sahen wir also vor Kurzem den Film "Amen" von Costa-Garvas. Es ist ein phantastischer Film, einer, den alle Amerikaner sehen sollten. Viele werden zu Tränen gerührt sein (wie meine Frau, obwohl sie strenggenommen Afrikanerin ist, nicht Amerikanerin), nicht nur durch das bloße Gewicht der Story, sondern durch die unheimliche Bedeutung, die der Film für uns in dieser Zeit der Geschichte haben sollte, durch die überwältigende Wut und Traurigkeit, die er im Gewissen erregt. Ich weiß nicht, wie, wann oder ob wir diese Menschen aufwecken können.

Auf lange Sicht jedoch habe ich eine düstere Hoffnung, ironischerweise mehr als ich sie vielleicht je zuvor hatte. Ich war immer aktiv in Auseinandersetzungen, im Volk und in der Politik, mein ganzes Erwachsenenleben hindurch, und dies stets mit der Überzeugung, dass unsere Arbeit vielleicht eines Tages unseren Enkeln zugute kommt, oder deren Enkeln. Ich dachte niemals, dass ich je in meinem Leben die durchgreifenden Veränderungen, nach denen wir alle streben, erleben würde. Doch diese jetzige Krise erscheint mir so tief, so gewaltig, dass ich mir jetzt selbst erlaube, mir dies vorzustellen. Ungeachtet meines obigen Arguments bezüglich der sofortigen Bestrafung deutet dieser Krieg auf den Anfang vom Ende der USA als dominanter Weltmacht hin. 

Boykotte, Sanktionen, Embargos, Prozesse und Gegenangriffe werden langsam Wirkung zeigen. Die USA werden vielleicht nicht im militärischen Sinne besiegt werden. Doch wenn beispielsweise die OPEC entschiede, ihr Öl am Euro festzusetzen anstatt am Dollar, würde der Dollar beinahe über Nacht um 40% abgewertet werden. In jedem Fall gewinnt der Euro an Boden und Stärke, und er steht schon heute für einen gemeinsamen Markt, der größer ist als die USA. Angesichts der Tatsache, dass die US-Wirtschaft so stark auf Konsumrausch angewiesen ist, wird sie allmählich durch die Wirtschaften Europas, Indiens und Chinas ersetzt. Diese wirtschaftliche Strangulation ist meiner Ansicht nach sowohl unausweichlich als auch das einzige Mittel, um die US-Kriegsmaschinerie endlich unter Kontrolle zu bekommen. 

Es muss noch viel getan werden, damit dieser Punkt erreicht wird, und ich kann keineswegs die Notwendigkeit eines Kampfes gegen diesen kriminellen und illegalen Krieg zu wenig betonen sowie all das Elend, das von diesem System hervorgebracht wird. Wer weiß? Vielleicht ist es nur das Wunschdenken von einem, der einfach das Ende dieses Alptraums herbeisehnt. Doch in einem geheimen Winkel meines Herzens gewähre ich mir einen Moment der Ruhe, der Überzeugung, dass das Schlechte besiegt wird.

© 2003 Daniel Patrick Welch. Nachdruck gestattet
Ubersetzung von Sheila Khalaf-Decker

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Welch lebt und schreibt in Salem, Massachusetts, USA, mit seiner Frau, Julia Nambalirwa-Lugudde Zusammen sind sie verantwortlich für The Greenhouse School. Er ist Schriftsteller, Sänger, Linguist und Aktivist, erschien im Radio [interview hier]. und steht für weitere Interviews zur Verfügung. Die bisher erschienenen Artikel und Übersetzungen sind erhältlich unter danielpwelch.com. Einen Link auf Ihrer Homepage würden wir begrüßen.